Tarifbindung – so kann's klappen

Metaller berichten über ihre Erfahrungen im Betrieb

Aller Anfang ist schwer. Häufig dauert es Jahre, bis sich Beschäftigte in einem Betrieb trauen, etwas gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen zu unternehmen. Das ist nur verständlich: Ist die Unzufriedenheit erst groß genug, kommen auch der Wille, weitere Mitstreiter sowie das nötige Durchhaltevermögen für den Widerstand. Wichtig ist dann vor allem, strukturiert vorzugehen und die IG Metall mit ins Boot zu holen, damit die Auseinandersetzung um eine Tarifbindung von Erfolg gekrönt wird.

Wie das konkret aussehen kann, schildern beispielhaft drei Metallerinnen und Metaller aus Betrieben in Baden-Württemberg: Steffen, Sabine und Hüseyin.

„Wir wollten, dass die Nasenpolitik im Unternehmen aufhört und es klare Richtlinien zu Bezahlung und Arbeitsbedingungen gibt.“

Steffen, IG Metaller und Betriebsrat

Porträtbild von Tarifheld Steffen

Schluss mit Nasenpolitik

Der Betriebsrat Steffen Lange kämpft seit über fünf Jahren für eine Tarifbindung

Für Steffen Lange gibt es kein Zurück mehr. Seit über fünf Jahren kämpft der Betriebsrat beim Rastatter Autozulieferer HBPO um eine Tarifbindung – und gegen den Widerstand seines Arbeitgebers. „Die Leute wollen einen Tarifvertrag und haben viel Herzblut investiert – das ziehen wir durch, bis die Geschäftsleitung unterschreibt.“

HBPO wurde als Joint Venture der Firmen Hella, Behr (heute: Mahle Behr) und Plastic Omnium gegründet und ist nach eigenen Angaben führend in der Herstellung von Fahrzeugfronten. Weltweit arbeiten mehr als 2000 Menschen für das Unternehmen; rund 130 sind es am Standort Rastatt. „Wir geben Autos ein Gesicht“, wirbt das Unternehmen auf seiner Internetseite.

Gesichter von Betriebsräten passen aber offenbar nicht zur Firmenphilosophie, „die Geschäftsführung war von Anfang an gegen die Betriebsratsgründung“, sagt Lange. Er hat vor 6 Jahren als Leiharbeiter bei HBPO angefangen, nach einem Jahr wurde er übernommen und hat sich als einer der ersten Beschäftigten für ein Betriebsratsgremium stark gemacht. Schon damals stand ein Tarifvertrag als oberstes Ziel fest. „Wir wollten, dass die Nasenpolitik im Unternehmen aufhört und es klare Richtlinien zu Bezahlung und Arbeitsbedingungen gibt“, sagt Lange.

Mittlerweile ist der 26-Jährige bereits in seiner zweiten Betriebsrats-Amtszeit, die Versuche des Arbeitgebers, den Betriebsrat zu torpedieren, sind gescheitert. Eine Tarifbindung gibt es trotzdem noch nicht. Nach wie vor verdienen Beschäftigte bei HBPO jeden Monat mehrere hundert Euro weniger als ihre tarifgebundenen Kollegen bei Mercedes-Benz, auf deren Werksgelände der Zulieferer mit vielen anderen angesiedelt ist. Mit 40 Stunden die Woche arbeiten die HBPO-Beschäftigten zudem 5 Stunden länger, zahlreiche Kollegen klagen über Burnout oder körperliche Erschöpfung. Was Lange zusätzlich empört: „Zwei der drei Gründungsfirmen aus unserem Joint-Venture sind ebenfalls tarifgebunden, trotzdem wehrt sich unser Arbeitgeber gegen eine Tarifbindung.“

Ende November hat die zuständige IG Metall Gaggenau erstmals zu einem Warnstreik aufgerufen. Seither geht am Standort die Angst um: In Mitarbeiterversammlungen wurden die Beschäftigten massiv eingeschüchtert, im Falle einer Beteiligung am Streik wurde mit dem Auslauf des derzeitigen Auftrages, der Schließung des Standorts und Abmeldung von Leihbeschäftigten gedroht. Lange selbst hat eine Abmahnung bekommen, weil er sich in einer Informationsveranstaltung des Arbeitgebers zu Wort gemeldet hat, „obwohl das unerwünscht war“.

Gesetze scheinen das Unternehmen dabei nicht zu kümmern: Laut dem Gaggenauer Gewerkschaftssekretär Bodo Seiler hat die Geschäftsführung gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verstoßen, weil sie während des Warnstreiks Leiharbeitnehmer als Streikbrecher eingesetzt hat. Seilers Fazit: „Die Beschäftigten fordern mehr Transparenz, Sicherheit und Gerechtigkeit mittels eines Tarifvertrags und die Geschäftsleitung reagiert hierauf mit Drohgebärden. Das zeigt, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben.“ Bei einem weiteren Verhandlungsversuch Ende Dezember 2018 hat die Geschäftsleitung immerhin erstmals die Bereitschaft eingeräumt, über einen Haustarifvertrag zu verhandeln.

Für Steffen Lange ist die Beteiligung an der Tarifkampagne der IG Metall Baden-Württemberg ein weiterer Schritt in Richtung seines Ziels. Und die Zahl der Mitstreiter wächst: Mehr als 70 Prozent der HBPO-Beschäftigten in Rastatt sind mittlerweile IG Metall-Mitglied, gemeinsam werden sie weiter für die Tarifbindung kämpfen. Lange: „Wir wollen mehr Geld in der Tasche, aber wir wollen auch eine andere Firmenkultur. Unser Arbeitgeber soll spüren, dass er nicht weiter so mit uns umgehen kann.“

„Ich finde es wichtig, Erfolgsgeschichten zur Tarifbindung nach außen zu tragen. Alle, die noch zögern, sollen wissen, dass sich die Anstrengung für eine Tarifbindung lohnt.“

Sabine, IG Metallerin und Betriebsrätin

Porträtbild von Tarifheldin Sabine

Das geht nur gemeinsam!

Die Betriebsrätin Sabine Maurer hat mit Hilfe der IG Metall einen Tarifvertrag erreicht

Sabine Maurer ist keine Einzelkämpferin, schon gar nicht fühlt sie sich als Heldin. Seit Anfang 2017 gilt für die Beschäftigten bei Magna Mirrors in Assamstadt ein Tarifvertrag, den Druck dafür hat zu einem großen Teil die Betriebsratsvorsitzende Sabine Maurer erzeugt. „Das ist mein Job“, sagt die 55-Jährige schlicht. Und weiter: „So etwas kann keiner allein, das geht nur gemeinsam!“

Was Maurer gemeinsam mit ihrem Betriebsrat und mit Unterstützung der IG Metall im Sommer 2016 geschafft hat, ist für viele das „Wunder von Assamstadt“. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet Maurer seit fast 30 Jahren bei dem Autozulieferer, Anfang der 90er-Jahre hat sie den Betriebsrat mitgegründet. Immer wieder hat das Gremium in den Jahren danach die Geschäftsführung aufgefordert, über einen Tarifvertrag zu verhandeln – vergebens. „Die haben uns einfach am langen Arm verhungern lassen“, sagt Maurer.

Das ändert sich nach der Betriebsratswahl 2014. Damals wird Maurer Vorsitzende und tritt mit dem klaren Ziel Tarifbindung an – und dem festen Willen, dafür zu kämpfen. Zwei Jahre später ist sie am Ziel: „Wir haben es geschafft. Wir haben einen Tarifvertrag“, ruft Maurer am Nachmittag des 13. Juli 2016 nach der dritten Verhandlung der wartenden Belegschaft zu. Die Reaktion: lautstarker Jubel, tosender Applaus und Tränen der Erleichterung. Warum es nach mehreren vergeblichen Anläufen plötzlich geklappt hat? „Wir hatten Glück, dass alle mitgezogen haben“, sagt Maurer. Und: „Ohne Unterstützung der IG Metall hätten wir es nicht geschafft.“

Man könnte auch sagen, das Timing war dieses Mal perfekt: Zeitgleich mit Maurers Kampfansage hat die IG Metall Baden-Württemberg begonnen, ihre Erschließungsarbeit auszubauen; knapp 20 zusätzliche Gewerkschaftssekretäre im Gemeinsamen Erschließungsprojekt (GEP) unterstützen seither Betriebe in ganz Baden-Württemberg, wenn es darum geht, Betriebsräte aufzubauen, gewerkschaftliche Strukturen zu etablieren und Beschäftigte zu motivieren, sich selbst für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen.

Für den Spiegelsysteme-Hersteller Magna in Assamstadt war Jannes Bojert zuständig, gemeinsam mit Maurer und ihren Betriebsratskollegen hat er einen Kampagnenplan ausgearbeitet, an dessen Ende der erste Warnstreik seit 30 Jahren stand. Dazwischen wurden die Beschäftigten über das Thema Tarifvertrag informiert, es gab Aktionstage und eine Befragung, bei der Jeder sagen konnte, wo ihn der Schuh drückt. Ergebnis: Beim Warnstreik „stand der Laden still, kein Rädchen drehte sich mehr“, so Maurer. Drei Monate später stand fest, dass Magna in den Arbeitgeberverband eintritt und eine Tarifbindung eingeht.

Inzwischen sind 75 Prozent der Beschäftigten IG Metall-Mitglied – und Maurer und ihr Gremium haben einen großen Teil ihrer Ziele erreicht. Dank Tarifbindung haben die rund 600 Beschäftigten in Assamstadt 2018 erstmals die volle Tariferhöhung bekommen – ohne wie früher „auf den Knien rutschen und betteln zu müssen“. Spätestens 2024 sollen die Löhne und Gehälter endgültig das Niveau der Fläche erreicht haben, das wurde in einer Übergangsregelung vereinbart. Aktuell verhandelt der Betriebsrat zudem mit der Geschäftsführung über ein gerechteres und nachvollziehbares System zur Leistungsbeurteilung.

Ihre Teilnahme an der neuen Tarifkampagne hat Maurer sofort zugesagt: „Ich finde es wichtig, Erfolgsgeschichten zur Tarifbindung nach außen zu tragen. Alle, die noch zögern, sollen wissen, dass sich die Anstrengung für eine Tarifbindung lohnt: Es ist viel Arbeit, es ist manchmal frustrierend, aber wenn man seine Leute konsequent mitnimmt, funktioniert es auch.“ Gewerkschaftssekretär Bojert sieht das genauso: „So etwas geht nur mit starken Aktiven, Vertrauensleuten und Betriebsräten, die bereit sind, Konflikte auszutragen, die Veränderung wollen und die Bewegung hin zu mehr Beteiligung vorantreiben.“

„Ich bin Arbeiterklasse seit eh und je und kenne die Probleme der Menschen. Und ich bin als Betriebsrat mit dem klaren Ziel angetreten, die Arbeitsbedingungen bei Aluplast zu verbessern und eine Tarifbindung zu erreichen.“

Hüseyin, IG Metaller und Betriebsrat

Porträtbild von Tarifheld Hüseyin

Für klare Spielregeln

Hüseyin Baskurt will mehr Aktive gewinnen – und eine Tarifbindung

Seit 2006 arbeitet Hüseyin Baskurt beim Spezialisten für Kunststofffenster und -türen Aluplast in Karlsruhe, exakt seit dem 13. Februar 2006. „Ich glaube, den Tag meiner Einstellung bereut die Geschäftsführung inzwischen“, sagt der 47-Jährige. Denn die Chefs mögen keine Gewerkschaft im Haus – und Baskurt war einer derjenigen, der sie ins Haus geholt hat. 2012 – ganze 30 Jahre nach Unternehmensgründung – initiierte er mit zwei Mitstreitern eine Betriebsratswahl, seit Ende 2015 ist der IG Metaller Hüseyin Baskurt Betriebsratsvorsitzender.

Dazwischen blockierte die Geschäftsleitung, wo sie nur konnte. „Die haben mir genau auf die Finger geschaut und Knüppel zwischen die Beine geworfen“, erinnert sich Baskurt. So wurde ihm beispielsweise verboten während der Arbeit mit den Kollegen zu reden – selbst dann, wenn sie Fragen an ihn als Betriebsrat hatten. Eingeschüchtert hat das den gelernten Maschinen- und Anlagenführer nicht, im Gegenteil: „Ich bin Arbeiterklasse seit eh und je und kenne die Probleme der Menschen. Und ich bin als Betriebsrat mit dem klaren Ziel angetreten, die Arbeitsbedingungen bei Aluplast zu verbessern und eine Tarifbindung zu erreichen.“

Nötig ist das allemal: Bezahlt werden die rund 650 Beschäftigten weit unter Tarifniveau, zudem ist das Entlohnungssystem intransparent und wird von vielen als ungerecht empfunden. Hinzu kommen immer wieder Probleme beim Arbeitsschutz und eine hohe Belastung durch Wochenarbeitszeiten bis zu 42,5 Stunden im Schichtbetrieb. Allein 2018 musste Baskurt mit dem Arbeitgeber elf Mal vor die Einigungsstelle – dabei ging es etwa um Unstimmigkeiten über Prämien, Pausen oder Arbeitskleidung. Umso mehr wünscht er sich einen Tarifvertrag: „Eine Tarifbindung schafft klare Spielregeln und man muss nicht mehr um alles streiten.“

Seit 2017 geht der Aluplast-Betriebsrat mit Unterstützung der IG Metall und des Gemeinsamen Erschließungsprojekts (GEP) das Thema Tarifbindung verstärkt an, im September 2017 hat die IG Metall die Geschäftsführung erstmals zu Verhandlungen über einen Haustarifvertrag aufgefordert. Zuvor haben Betriebsrat und GEP unter anderem einen Organizing-Blitz im Betrieb organisiert und die Beschäftigten nach ihren drängendsten Problemen befragt, Ergebnis: Der unsichere Status des Weihnachtsgelds – das Unternehmen zahlte meist freiwillig, aber ein Anspruch bestand nicht und bei Krankheit gab es Abzug – sowie das als respektlos empfundene Verhalten einiger Vorgesetzter.

Am 16. Januar 2018 gab es bei Aluplast den ersten Warnstreik der Firmengeschichte, rund 140 Beschäftigte nahmen teil. „Damit haben wir Stärke gezeigt, das war ein wichtiges Signal“, sagt Baskurt. Es war aber auch harte Arbeit: „In einem Betrieb wie unserem, wo dir der Wind ins Gesicht bläst, braucht es den Rückhalt einer aktiven Belegschaft“, weiß der Metaller; mehr Mitglieder für die IG Metall zu gewinnen hat deshalb oberste Priorität für ihn. Das sieht auch Alexander Mohrlang so, der den Betrieb als GEP-Sekretär unterstützt: Die erforderliche „Man- und Womenpower“, um eine Tarifbindung zu erreichen, könne keine Gewerkschaft alleine stemmen, sagt er. „Das geht nur mit einer aktiven Basis im Betrieb.“

Inzwischen wächst die Mitgliederzahl bei Aluplast stetig, auf den ersten folgte im März 2018 ein zweiter Warnstreik und letztlich hat sich die Geschäftsleitung doch mit dem Betriebsrat und der IG Metall an den Verhandlungstisch gesetzt. Seither führt Krankheit nicht mehr zu Abzug beim Weihnachtsgeld, 50 Prozent der Sonderzahlung sind vertraglich abgesichert, der Rest ist an die Rendite gekoppelt. „Das ist eine deutliche Verbesserung“, sagt Baskurt, „unser definitives Ziel heißt aber Tarifbindung und wir geben nicht nach, bis wir die haben.“

Die neue Tarifkampagne der IG Metall sieht er als Unterstützung auf seinem Weg: „Es ist gut und richtig, dass die IG Metall die Vorteile von tarifgebundenen Beschäftigten thematisiert und versucht, mehr Menschen in Tarifbindung zu bringen.“ Dazu sollen in nicht allzu ferner Zukunft auch die 650 Beschäftigten von Aluplast in Karlsruhe gehören.

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[1] Beschäftigte in nicht-tarifgebundenen Betrieben in Baden-Württemberg verdienen durchschnittlich 24 % weniger. Dabei handelt es sich um einen statistisch ermittelten Durchschnittswert. Individuell kann das unterschiedlich sein. Tarifverträge müssen durchgesetzt werden und können sich je nach Konstellation und Branche unterscheiden. Quelle: Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes 2018, veröffentlicht April 2020. [2] Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben in Baden-Württemberg haben Anspruch auf 30 Arbeitstage Urlaub. Zusätzlich gibt es z.B. in der Metall- und Elektroindustrie rund 70 Prozent eines Monatseinkommens als zusätzliches Urlaubsgeld. In nicht-tarifgebundenen Betrieben haben Beschäftigte nur Anspruch auf 24 Werktage Urlaub. Tarifverträge müssen durchgesetzt werden und können sich je nach Konstellation und nach Branche unterscheiden. Individuell kann der Urlaubsanspruch unterschiedlich sein. [3] Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben in Baden-Württemberg arbeiten durchschnittlich 2,6 Stunden pro Woche weniger. Dabei handelt es sich um einen statistisch ermittelten Durchschnittswert. Individuell kann das unterschiedlich sein. In der Metall- und Elektroindustrie beispielsweise beträgt die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit 35 Stunden, im Kfz-Handwerk beträgt die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit 36 Stunden. Tarifverträge müssen durchgesetzt werden und können sich je nach Konstellation und Branche unterscheiden. Quelle: Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes 2018, veröffentlicht April 2020.